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Merci le Journal de la Photographie !!

11 Apr

http://lejournaldelaphotographie.com/archives/by_date/2013-04-10/10877/anais-barelli-german-angstBildschirmfoto 2013-04-11 um 10.52.11

as a german?

7 Mar

hamburg, winter, 1993.
i am six years old, probably five.
i remember me and my parents walking down a road.
it snows. it is cold, thick clouds that vanish into the air when i breath.
i remember walking ten meters behind my parents. drawing something onto the hoods of the cars parked alongside the sidewalk. wiping away the snow with my fingers wrapped in green or yellow gloves.
at the end of the road my mother turns around and looks at what i have been drawing.
it is something i might had seen on television. or in the paper. or at my grandparents’ house.
on every car we have passed i have drawn a swastika into the snow.
i am told what the symbol stands for
and we turn around.
i wipe the snow off the hoods. i wipe away all my drawings.
for the first time in my life i learn how to take responsabilty for my own action.

as a person.

as a german?

du und ich.
being part of a country.
this country
germany.

80 million people.
country code +49.

a really bad hangover.
walking around in a city i don’t seem to know anymore.
meeting people i don’t want to know anymore.

aber hier leben, nein danke.
the same words
a different language.

backyards.
a german kinda thing, someone says.
yellow dots, windows. the shape of a person. the shape of an idea.
i don’t know myself.
and if i am a stranger to me
i am a stranger to them.

drops of water, dripping down into a lake.
to disappear.

ich glaub ich hab ein faible für idioten.
love the idea, they say. live the idea.
be proud.
or: we are in the same shit.
no questions, no choice.
no charges, no judge.

ich schäme mich. – yeah!
disconnected.
not shure
which end of the wire
is broken.
the missing link
might also be me.

molecules of warm air, floating into the cold.
to disappear.

ob ich das verdiene?
promises.
to find myself in the picture. the big picture.
integration vs. assimilition.
to refuse
what’s already there. here. mine.

flickering lights, lost in the dark.
to disappear.

augen in der dunkelheit.
the end of the road.
i turn around
to wipe it all away.
not to be seen
but to be remembered.

what if i am
what i don’t want to be.
what if we are
what we can’t understand.

 

 

text by
john-h. karsten

headlines taken from songs by
neustadt
tocotronic
hans unstern
ja, panik
lassie singers
messer

#anti-#aufschrei, Teil I

15 Feb

Manche Themen sucht man sich gezielt aus, manche fallen einem aus heiterem Himmel in die Arme, andere finden sich, wenn man nur ein wenig die Augen offen hält. Und manchmal kommt – irgendwie – alles zusammen…

Doch der Reihe nach –
Freitag, 31. Januar 2013:
Mit zittrigen Händen, nasskalter Stirn und rasendem Herz lade ich den ersten Text auf diesen Blog hoch.
Geschafft. Zigarette. Bier. Schlaf.

Samstag, 01. Januar 2013:
Aufwachen, langsam. Kaffee, stark. Reaktionen, eingefangen. Zweifel, erste.
Interessiert sich überhaupt jemand für das Geschriebene? Für das Projekt? Für unsere Reise, unsere Suche? Franzi hat sich mit Anaïs auf den Weg in die (Un-)Tiefen dieser Nation gemacht, und jedes der Fotos der Tour ist mehr als nur ein kurzer Blick hinter die Kulissen Deutschlands, mehr als eine Momentaufnahme. Erkenne ich Deutschland wieder in den Bildern? Auf jeden Fall, auch wenn ich gar nicht immer sagen könnte, warum. Aber erkenne ich mich wieder? Oder gar „uns“?

Ich lese und höre, was andere über das Projekt, über den Text, über das Thema denken. Erhalte Feedback, versuche, den Blog besser zu strukturieren. Es gibt eine englische Übersetzung meines Textes, Feedback also auch aus dem Ausland, gutes, gespanntes zumeist.
Ich hingegen – entspanne mich. Die eigenen Gedanken kreisen zu lassen tut gut, sie mit anderen zu teilen sogar besser. Besser als überhaupt erwartet.
Die Füße hoch, ein anderes Projekt, viel zu lange hintenan gestanden, hat erstmal Vorrang.
Das wird schon, irgendwie.

Freitag, 07. Januar 2013:
Und schon ist wieder Freitag. Halbzeit. Ich lese meinen Text erneut und frage mich ernsthaft, was ich mir dabei gedacht habe. „… eine Suche nach der/einer/irgendeiner/… deutschen Identität – wenn es diese denn überhaupt gibt…“?! Soso… äh, geht’s noch? Auf irgendeinem Zettel vermerke ich in Schönschrift eine Bitte an mich selbst, beim nächsten Mal die Messlatte vielleicht nicht gleich nach ganz nach oben zu legen. Plötzlich fühle ich mich wieder ins kalte Wasser geworfen, schlecht vorbereitet, Turnbeutel vergessen, ab ins Bett, Hausarrest.

Selbstverordnete Strafen können heilsam sein, habe ich mal gehört, in meinem Fall aber sind sie der beste Garant für schamlose und offen ausgelebte Prokrastination. In diesem Sinne suche ich gezielt (as in: auf facebook surfen), breite die Arme aus (in der Hoffnung, dass da schon irgendetwas hinein fallen wird) und halte die Augen offen (gerötet vom Qualm der aus Nervosität und Stress schlecht gedrehten Zigaretten)… und werde wirklich fündig (ohne es gleich zu bemerken):

Ein Eintrag von einem Bekannten, der einen kurzen Ausschnitt aus der Literatursendung DRUCKFRISCH (ARD) vom 29.01. postet, in der Moderator Denis Scheck sich in die Diskussion um das tabuisierte „N-Wort“ in Kinderbüchern einmischt und dazu aufruft, sich gegen jede Art „von ‚politisch-korrektem’ Sprachexorzismus“ zu wehren. Mein Bekannter findet das toll, ich bekomme schon nach den ersten Sekunden des Videos das kalte Kotzen. Ein weißer Mensch, ein „Intellektueller“, der sich allen Ernstes mit schwarz geschminktem Gesicht vor eine Kamera stellt und sich so zu solch einer Angelegenheit äußert?
Nun. Ich hasse Diskussionen in sozialen Netzwerken, aber das Thema berührt mich, und ich muss etwas dazu schreiben. Auf die Geschichte des Blackfacing verweisen, auf die vielen Beiträge auf der facebook-Seite von DRUCKFRISCH von Menschen, die sich angegriffen fühlen und solchen, die sich solidarisch erklären, die eine Entschuldigung oder zumindest aber eine Erklärung fordern.
Es dauert keine Stunde, dass die erste Reaktion eines Freundes meines Bekannten hinzu kommt, und irgendwie überrascht sie mich nicht. Ich muss mich zum Spielverderber degradieren lassen, mich großväterlich belehren lassen (der Herr merkt an, „Schwarze“ – einige sogar! – zu kennen, die sich über Leute wie mich lustig machen würden), bis die Konversation seinerseits abrupt und kommentarlos für beendet erklärt wird. Danke dafür.

Von einem Austausch von Argumenten – keine Spur. Den tollen Artikel zu Political Correctness (http://metalust.wordpress.com/2013/01/30/borniert-ignorant-und-faul-denis-scheck-und-wie-er-und-andere-kunst-ermeucheln-wollen/) scheint er gar nicht erst lesen zu wollen. Naja, denke ich, wer nicht will der hat schon oder so.

Also. Raus aus dem Netz, rein ins Leben. Was will ich hier überhaupt? Mich davon überzeugen, dass sich manche Sachverhalte nicht jedem Menschen erschließen? Dass Diskussionen auf dieser Plattform nicht funktionieren?

Naja, denke ich wieder, manchmal ist es eben so, man sollte die Erwartungen nicht allzu hoch setzen, zumindest nicht jeden Tag, die Leute werden das schon verstehen, und außerdem war da doch auch noch die schwäbische Bäckerin, über die ich euch… und in diesem Moment stehe ich in der Bäckerei meiner Wahl, lasse mir einen Kaffee brühen und eine Butterbrezel auf die Hand geben und lese die Schlagzeile der meistgelesenen (sic!) Zeitung (sic!) Deutschlands: „Wie viel Brüderle ist erlaubt? – Deutschland streitet über Sexismus“.
Na also, na endlich, da haben wir es doch, eine Art Thema, und wie im Zeitraffer rase ich durch die letzten paar Jahre deutscher Skandal- und Protest-Geschichten und deren Rezeption: Stuttgart 21 und Berliner Flughafen. Plagiatsaffären (diverse). NSU-Morde. Die „Causa Wulff“. Occupy (everything). Eurokrise… und jetzt also der #aufschrei, längst überfällig, ausgelöst ausgerechnet von einem plumpen FDP-Politiker. Die Liste ließe fortsetzen, aber das ist gar nicht nötig, denn ich stelle eine entscheidende Gemeinsamkeit fest: In jedem der Fälle handelt es sich um im großen Stil medial behandelte Skandale, die auch im Privaten und vor allem im Internet bis auf das Heftigste diskutiert werden und wurden – aber nicht das Dass ist hier die entscheidende Verbindung, sondern vielmehr das Wie:
Ungeachtet dessen, wer welchen Protest vorantreibt oder vorangetrieben hat, lässt sich nämlich eines feststellen – zu jedem #aufschrei gibt es auch einen #anti-#aufschrei, und es ist die Struktur dieser modernen Anti-Anti- und Protestkultur, die nachdenklich stimmt. Denn nicht nur, dass es (nicht nur bei Menschen jenseits der 50) mittlerweile irgendwie cool zu sein scheint, gegen das „Dagegen“ zu sein, nein, auffällig ist vor allem, wie polemisch und persönlich, aggressiv in vielen Fällen „diskutiert“ wird.

Konkret? Feminist_Innen und Anti-Sexist_Innen sollen sich mal entspannen, war doch nur Spaß, nein, noch besser: War doch’n Kompliment!, Stuttgart 21-Gegner_Innen haben keine Ahnung von Ökonomie (und also auch keine vom Leben), Kritiker_Innen von Wulff, Guttenberg und Co. wollen einfach nicht sehen, was für tolle Staatsmänner das waren (bei aller Kritik: Manchmal muss man auch ein Auge zudrücken!), Anti-Rassist_Innen wie ich sind Spießer, Kulturzerstörer, Vaterlandsverräter – und zuletzt immer das Argument, dass man sich ja auch wirklich über alles aufregen kann, Junge, muss doch nicht sein, das Leben ist doch viel zu kurz, damit ich mich von dir stören lasse. Und genau hier liegt der Kern des Anti-Protestes: Es geht letztlich vor allem darum, nicht gestört zu werden, nicht aus dem Winterschlaf des eigenen Kosmos gerissen zu werden, der sich wie ein schützender Kokon um das eigene Gewissen legt.

In der Soziologie wird von der „Legitimation“ des eigenen Daseins gesprochen, die jeder Mensch zu jeder Zeit vornimmt. Es handelt sich um einen (bewussten und/oder unterbewussten) Vorgang, im Zuge dessen Handlungen (oder Nicht-Handlungen) mit dem abgeglichen werden, was man als Gewissen oder Persönlichkeit bezeichnen könnte. Wenn ich also in den Nachrichten Bilder hungernder Kinder in Somalia sehe, aber einige Stunden zuvor einem Obdachlosen ein Brötchen geschenkt habe, dann kann ich – unter Umständen – das Nicht-Spenden damit legitimieren, dass ich heute ja schon gut war – und mich trotzdem, guten Gewissens, beim Abendessen darüber auslassen, dass sich die Politik sich nicht bemüht, die Katastrophe einzudämmen.

Jede Legitimation kostet Kraft – erst Recht, wenn das Gewissen vor wirklich große Probleme gestellt wird, Probleme, die über lange Dauer mein ganzes bisheriges Dasein in Frage stellen. Die hungernden Kinder in Somalia verschwinden schnell wieder, Bilder ersetzen Bilder, Two and a half Vollidioten ersetzen die Nachrichten… aber tatsächliche (und schließlich mediale) Skandale wie der #aufschrei, Stuttgart 21 oder die „Causa-Wulff“ dauern an, werden im Beruflichen und Privaten immer wieder und überall diskutiert, fräsen sich tief in gesellschaftliche Kontexte und erzwingen über kurz oder lang eine Positionierung.

Bloß: Wenn eine Positionierung im Sinne der Legitimation Kraft kostet, dann liegt es logischerweise nahe, eine Positionierung, die sich als Folge aus meinen bisherigen Positionierungen versteht, einer Neupositionierung vorzuziehen.

Und schließlich ist da ja auch noch die ANGST, denn abgesehen vom Kraftaufwand steht einiges, wenn nicht gar alles, auf dem Spiel, wird – ausgelöst durch einen Skandal, durch einen Protest – mein gesamtes bisheriges Dasein, werden meine Entscheidungen, Handlungen, die ich zumeist für richtig gehalten habe, in Frage gestellt, werde ich dazu gezwungen, mich (neu) und immer wieder zu legitimieren.
Es mag auch der Anonymität im Web 2.0, der Kurzlebigkeit der Ware „Information“ und einer generell schwindenden Aufmerksamkeit geschuldet sein, dass Sachverhalte irrational besprochen werden; dass persönliche Beleidigungen mittlerweile wesentliche Bestandteile solcher Diskussionen sind wiederum ist Ausdruck einer zutiefst existenziellen (GERMAN) ANGST „um das eigene Leben“, um das, was sich im Laufe der Jahre so anfühlt wie ein Ich. Angenommen also dem Freund meines Bekannten rutscht am Stammtisch auch gern mal das N-Wort raus, lacht er über eine rassistische Zote (natürlich nur, wenn Leute dabei sind, die das verstehen, die wissen, dass er „eigentlich gar nicht so drauf ist“), und kennt er sogar, wie er ja sagt, „Schwarze“, die über so Leute wie mich lachen, dann ist die öffentliche Diskussion um Blackfacing exakt das, was für einen latenten Sexisten, der sich insgeheim bei dem Gedanken an eine Frau am Herd doch ganz wohl (weil abgesichert, unbedrängt, unangetast) fühlt, der #aufschrei ist: eine Bedrohung, eine Variable, die plötzlich ein neues Licht auf die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, auf mein Ich, dass ich ja (zumindest meistens) ganz okay, wenn nicht gar gut finde, wirft. Variablen machen Angst, denn sie bedeuten Unsicherheit, Dilemma, Wanken und Schwanken, Prekarität, Fragen statt Antworten, Auflösungen statt Lösungen.

(Gefühlt) in die Ecke gedrängt, verunsichert, verängstigt, wird dann eben (der kurzfristigen Einfachheit halber) nicht eine Neupositionierung des eigenen Ichs in Erwägung gezogen, sondern vielmehr offensiv versucht, das Problem selbst zu zersetzen und den Konflikt so zu minimalisieren. Und wenn das nicht geht, zum Beispiel auf Grund einer andauernden medialen Präsenz – dann müssen – siehe oben – halt die dafür den Kopf hinhalten, die sich für einen rationalen Diskurs eines diskussionswürdigen und –bedürftigen Themas einsetzen, müssen sich durch Beleidigungen herabwürdigen und als unglaubwürdig, da „beleidigenswert“ (!), erklären lassen.

Mit Sicherheit ist dies nicht ausschließlich ein deutsches Problem, nicht ausschließlich ein Symptom der GERMAN ANGST (erste Erwähnung im vovorvorvorvorletzten Satz!) – aber es ist, in beiderlei Hinsicht, vor allem eines. Es wäre falsch – wenn auch einfach – eine Erklärung in oft bemühten Klischees zu finden, der berühmte Stock im Arsch, über den bekanntlich jeder Deutsche verfügt, zum Beispiel. Aber wir sind ja nicht hier, um es uns einfach zu machen. Und deswegen gibt es einen zweiten Teil #anti-#aufschrei, in dem ich zum ersten Mal eine Reise in die Vergangenheit machen und einen Zusammenhang zwischen deutscher, existenzieller Angst (formerly known as GERMAN ANGST) und ökonomischen, politischen und kulturellen Strukturen in Deutschland suchen werde. Den Zettel mit der Schönschrift-Vermerkung, die Messlatte etwas niedriger zu hängen, habe ich gestern als Brotpapier missbraucht, da ist jetzt ganz viel Fett dran. Aber einen Versuch ist es vielleicht wert; und zwar bald, hier, an gewohnter Stelle, zu gewohnter Zeit, skandal- aber unter keinen Umständen protestfrei.

(c) 2013, John-H. Karsten

Die Germans, meine Angst und ich.

31 Jan

Als ich zwischen Weihnachten und Silvester letzten Jahres gefragt werde, ob ich ein Dokumentarfilmprojekt mit einem Blog begleiten will, gebe ich mir innerlich ein Tanzfest mit süßer Erdbeerbowle. Verlockend allein der Arbeitstitel (GERMAN ANGST – Dschörmen Änkst), und dann diese Projektbeschreibung: „… herausfinden, was ‚das Deutsche’ sein könnte…“ oder so, und weiter komme ich schon gar nicht, weil:  Hier!, weiß ich, kann ich, wie gut, denke ich, endlich mal schön einen über die Germans abschreiben, und schon beginnt eine längst überfällige, großflächig angelegte Demontage des schwarz-rot-gold-wimpelnden Deutschtums in meinem Kopf. Ich fange an, genüsslich zu filettieren: Die Geschichte über die Dicken im letzten Spanienurlaub, die sich (auf Deutsch) in einem abgelegenen Fischrestaurant über den Kohlensäuregehalt des spanischen Bieres beschweren. Über meine schwäbische Bäckerin, die mir mein halbes Bio-Dinkel-Laible stets nur zu einem Aufpreis von 35 Eurocent schneidet. Über den Böhse-Onkelz-Tourshirt-Fascho aus meiner ehemaligen Lieblings-Trinkerkneipe, der im Halb- und Vollrausch durchaus gerne mal das N-Wort benutzt und – unserem Protest zum Trotz – vom griechischen Gastwirt nie des Lokals verwiesen wird.

Halt, schreit da eine Stimme in meinem Kopf, da war doch was…

Nestbeschmutzer! Lass das! DU bist doch Deutschland!

Äh, bitte? ICH bin Deutschland?! Von wegen, nix da: DAS ist Deutschland, denke ich, DAS IST DEUTSCHLAND, und DAS sind die Geschichten, die ich erzählen muss, und die ich erzählen werde. Und so bette ich mein Haupt und tanze, ein Glas süße Bowle in der Hand, auf das Jahr 2013 zu.

Dann, einen Monat später, also vor einer Woche etwa, sitze ich wieder an meiner Schreibmaschine und will mich gerade der schwäbischen Bäckerin widmen, da kriecht etwas in mir empor, bahnt sich seinen Weg vom Steißbein durch die Wirbelsäule, verweilt kurz im Nacken und dringt schließlich ein ins Hirn, lustwandelt von Schläfe zu Schläfe, pocht an Schädeldecke, Hinterkopf und Stirn.

ANGST. Es sollte ja um auch ANGST gehen, nicht nur um irgendwelche Germans, es sollte um Angst gehen, aber nicht um irgendeine, sondern auch noch um GERMAN ANGST.

Gut, denke ich, die beiden Dicken aus Spanien haben sicher auch vor irgendwas Angst, Junge, verdammt nochmal, lies gefälligst die ganze Projektbeschreibung, aber ich denke auch: Blamier dich nicht, noch hat’s niemand gemerkt, ruhig Blut jetzt, Sachkenntnis ist mehr als nur ein Softskill, also rein mit der GERMAN ANGST in Ecosia, dass früher mal google hieß, dann aber ohne mein Zutun von einem Freund auf meinem Rechner installiert wurde und nun irreversibel in meinen Browser integriert scheint, und ach, oh je, jetzt haben wir den Salat: Auch Ecosia kennt wikipedia, und wikipedia weiß, dass mit dem Begriff GERMAN ANGST „charakteristisch empfundene, gesellschaftliche und politische, kollektive Verhaltensweisen der Deutschen bezeichnet“ werden, namentlich also unter anderem Zurückhaltung, Mutlosigkeit, Unzufriedenheit, Argwohn, Depression sowie weitere wenig tolle Dinge. Mmh.

Naja, denke ich, für die horrende Gage, die jeden Monat auf mein Konto wandert, könnte man ja auch mal ein wenig recherchieren, und so lese ich Sabine Bodes Die deutsche Krankheit – German Angst, Søren Kierkegaards Der Begriff Angst und Enzo Traversos A feu et à sang. De la guerre civile européenne 1914–1945 und einiges mehr (alles in einer Nacht, versteht sich) und am nächsten Morgen weiß ich plötzlich gar nicht mehr so recht… und zwei Tage später… und die Deadline rückt näher und die elf verpassten Anrufe der Produzentin ignoriere ich gekonnt. Denn je länger ich den Text vor mir hinaus schiebe, je länger ich mich vor dem weißen Blatt drücke, desto klarer wird es mir:

Auch ich habe Angst.

Ich habe Angst weil ich merke, dass das, worüber ich hier schreiben möchte, nicht allein mit Anekdoten über Dicke auf den Kanaren und besoffene Nazis in Trinkerkneipen abzuhandeln ist. Ich muss anerkennen, dass der Film, der gerade entsteht, ebenso wie dieser Blog eine Suche sein wird, nein, eine Suche sein muss, eine Suche, an dessen Ende vielleicht nicht eine Antwort steht, aber möglicherweise eine kleine Idee oder ein Gefühl davon, was GERMAN ANGST denn wirklich bedeutet – und woher sie kommt.

Und so rede ich mit Freund_innen und Bekannten und Unbekannten und frage sie, wovor sie Angst hatten oder haben und ob sie wissen, warum. Ich bekomme unterschiedliche Antworten, höre von großen und kleinen Ängsten, von Ängsten vor der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Ich höre von Ängsten vor dem Anderen und Ängsten vor dem Ich und Ängsten vor dem Wir. Vor allem. Vor dem Nichts.

Doch egal, was sie mir erzählen: Sie alle haben Angst, vor irgendetwas – genau wie ich. Und sie alle haben eine Angst, die ihr Leben bestimmt, jeder kennt es, wenn es wieder so weit ist, wenn sie in uns empor kriecht, sich ihren Weg vom Steißbein durch die Wirbelsäule bahnt, kurz im Nacken verweilt und schließlich eindringt ins Hirn, von Schläfe zu Schläfe lustwandelt, an Schädeldecke, Hinterkopf und Stirn pocht.

Die Angst hat viele Gesichter. Sie ist Gefühl, sie ist Emotion, sie kann aber auch, wie im Fall der GERMAN ANGST, eine soziale Entität, eine Tatsache im Sinne Durkheims sein. Die Angst bewegt. Sie bewegt uns und sie bewegt sich selbst: Neue Ängste generieren sich im Laufe maroder sozialer Strukturen und politisch wie ökonomisch instabilen Gefügen. Alte, tradierte Ängste verschwinden nur scheinbar, tief vergraben in unserem kulturellen Gedächtnis tauchen sie immer wieder in Freud’scher Manier auf und machen uns das Leben… ja, was machen sie eigentlich mit unserem Leben?

Je länger das Nachdenken, desto mehr führt die Angst über kurz oder lang zu nichts anderem als zu (unserer) Identität, kann sie allein doch das enthüllen, was in unserem dunkelsten Innern schlummert, gleichsam das, vor dem wir flüchten wie das, zu dem wir flüchten.

Ach ja, und dann waren da ja doch noch meine Germans, also rede ich mit Menschen, die in Deutschland leben und die sich, wie sie sagen, „deutsch“ fühlen, die aber keinen deutschen Pass haben. Ich rede mit Menschen, deren Ausweis ein „D“ unter Nationalität aufführt, die aber, wie sie sagen, ihr „Deutschsein“ und das von anderen ablehnen.

Und jetzt? Deutsch, deutscher, am deutschesten? Was heißt das überhaupt? Und ist es gleichbedeutend mit ängstlich, ängstlicher, am ängstlichsten? Irgendwie macht sie mich froh, die Vermutung, dass die Antwort darauf nicht in den unterhaltsamen Geschichten und Anekdoten liegt, die tagtäglich um uns herum geschehen.

Wobei… nicht nur, wahrscheinlich.

Aber wo denn dann, wo liegt sie, die Verquickung zwischen „deutsch“ und „Angst“?

Oder: Wenn die Suche nach Angst auch eine Suche nach Identität ist, ist dass die Suche nach der GERMAN ANGST nicht vielleicht auch eine Suche nach der/einer/irgendeiner/… deutschen Identität – wenn es diese denn überhaupt gibt?

Ich gebe es zu: Ich weiß noch nicht, wohin mich diese Suche führt. Der Reset-Button war gut, denn ich fühle mich freier. Ich bin gespannt auf die Reise, und sei es, dass ich sie nur antrete um meine eigene Angst zu bekämpfen, oder mich ihr zu stellen, oder, tja, um herauszufinden, ob ich eigentlich deutscher bin, als ich es gerne sein oder zugeben möchte, und es unter Umständen eigentlich das ist, was mir Angst macht.

Um all das wird es hier gehen. Vielleicht. Die nächsten Einträge werden kürzer werden. Eher nicht. Zielgerichteter wird die Analyse in den Mittelpunkt gerückt werden. Haha. Man wird’s sehen.

Nur eines, eines steht jetzt schon fest: Ein Wiedersehen mit der schwäbischen Bäckerin – das wird es auf jeden Fall geben.

(c) 2013, John-H. Karsten